Sebastian Claren: tremblement
für Streichquartett
(2024)Die Arbeit an tremblement begann mit der Idee, ein Streichquartett von Brahms extrem zu verlangsamen–wie ein viel zu langsam abgespieltes Tonband. Jedes Detail des Stücks, bis hin zum Vibrato, sollte enorm vergrößert und dadurch, obwohl immer noch direkt mit dem Original verbunden, grotesk verzerrt werden. Mit den ersten konkreten Entwürfen wurde offensichtlich, dass ich das Material von Brahms nicht so verwenden konnte, wie ich das in vergleichbaren Stücken gemacht habe. Das mag an der Bekanntheit des Materials, vielleicht aber noch mehr an seiner formalen Abgeschlossenheit liegen. Um die Idee einer direkten Verbindung zu Brahms‘ Musik aufrechtzuerhalten, musste ich Wege finden, sie in einem Raum funktionieren zu lassen, der viel abstrakter war, als ich geplant hatte. Durch diese strukturellen und klanglichen Entscheidungen hat sich das Stück in vielerlei Hinsicht in das Gegenteil seiner ursprünglichen Idee entwickelt. Anstatt einer extremen Verlangsamung sind viele Tempi so schnell, dass sie für die reale Aufführung angepasst werden müssen. Und obwohl sich jede einzelne Note des Stücks auf eine bestimmte Stelle im ersten Satz von Brahms’ Streichquartett op. 51, Nr. 2 bezieht, ist dieser Zusammenhang über weite Strecken kaum erkennbar.
Der Titel »tremblement «, ursprünglich als Referenz an Édouard Glissant gedacht, wurde immer mehr zu einer Metapher für alle möglichen Arten von zitternden Bewegungen, von denen viele sehr konkret und direkt, manchmal auch gewalttätig sind. Das Stück ist ein Schauplatz von extrem widerstreitenden Kräften geworden, die in einem strukturell klaustrophoben Raum aufeinandertreffen.
(Sebastian Claren)